Die Steuerkrise

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Bund und Kantone sparen seit Jahren, Schulklassen werden vergrössert, Spitäler geschlossen und der öffentliche Verkehr abgebaut. Der Tenor lautet, „Wir haben halt nicht mehr“, obwohl die Schweiz immer reicher ist. Doch wegen den Steuersenkungen der letzten 20 Jahre fehlen Milliarden in den Kassen. Der Mangel an Steuereinnahmen ist keine Fatalität, sondern wird bewusst in Kauf genommen. Sind wir immer weniger bereit, Steuern zu zahlen? Als Rechtfertigungsideologien dienen Vorurteile gegen den „verschwenderischen Staat“ und „faule Sozialhilfebezüger“. Dies führt gar soweit, dass wir jeglichen Steuerabbau befürworten, „damit der Staat sparen muss“. Wenn dann nichts mehr anderes übrig bleibt als gar Bildung und Gesundheit abzubauen, dann wird dies als „schmerzhaftes, aber nötiges Opfer“ beklagt. Eigentlich eine absurde Situation. Der weitere Abbau ist deshalb vorprogrammiert. Was wir brauchen ist eine biblische Umkehr zum Teilen, wenn wir unsere Zukunft und Lebensqualität erhalten wollen.

Die Budgetkrisen

Seit Jahren schnüren Bund und Kantone ein Sparpaket nach dem anderen. „Wir haben halt nicht mehr“, lautet der Tenor. Defizite und Schulden beherrschen die Diskussion. In der öffentlichen Diskussion werden die steigenden Ausgaben und mangelndes Wirtschaftswachstum als Ursachen angesehen. Tatsächlich sind die Sozialausgaben gestiegen, weil ein grösserer Teil der Bevölkerung in Not geraten ist:

  • die AHV reicht noch heute nicht zum Leben, weswegen immer mehr alte Menschen die Ergänzungsleistungen der Kantone beanspruchen müssen 1
  • Immer mehr Menschen werden langfristig aus dem Arbeitsmarkt hinausgedrängt und landen in der Sozialhilfe. Heute sind rund eine halbe Million Menschen in der Arbeitslosenkasse, in der IV oder der Sozialhilfe 2 registriert. Dem stehen gut per September 2015 gut 11’000 gemeldete offene Stellen gegenüber.
  • Wegen steigenden Mieten auf Grund von Spekulation und Marktversagen sind mehr Menschen auf Wohnbeihilfen angewiesen.  3

Steigende Ausgaben haben also wenig mit Verschwendung, sondern mit grösseren Problemen zu tun. Einzelbeispiele für Verschwendung werden trotzdem gerne verallgemeinert. Tatsächlich ist die Ausländerquote in der Sozialhilfe besonders hoch. Statt deren schlechtere Bildung zu sehen geben werden schnell Vorurteile gegen die „faulen Ausländer“ wach. Doch wer hätte ihnen einen Job?

Im Übrigen ist die im Vergleich zu den anderen OECD-Ländern tiefe Schweizer Staatsquote ist auch nicht gestiegen 4.

Wirtschaftskrisen können auch nur teilweise angeführt werden, denn es muss immer damit gerechnet werden. Man weiss also, dass in gewissen Jahren mehr Mittel benötigt werden und sollte genügend vorsorgen.

Die Steuersenkungen

Der Hauptgrund für die Defizite liegt aber anderswo, ist aber leider mit einem Tabu belegt: Die Steuersenkungen der letzten 20 Jahre haben Bund und Kantone um Milliarden gebracht:

  • Alleine der Kanton Genf verliert auf Grund der Steuersenkungen seit 1998 heute pro Jahr rund eine Milliarde Franken an Einnahmen 5
  • Der Kanton Baselland verliert jährlich 180 Millionen Franken 6.
  • Auf Grund der Unternehmenssteuerreform II verlieren Bund und Kantone pro Jahr zwischen einer halben und einer ganzen Milliarde Franken pro Jahr 7, obwohl bei der Volksabstimmung nur von 60 Millionen Franken die Rede war.

Die Situation sieht in vielen Kantonen ähnlich aus. Dennoch glauben viele SchweizerInnen, die Steuern würden ständig steigen. Tatsächlich sind zur Teilkompensation der Einnahmenausfälle die Gebühren angehoben worden. Dies hat heute zur Folge, dass viele Menschen mit steigenden Gebühren konfrontiert sind und vor Allem diese sehen. Es handelt sich also um eine Umverteilung von unten nach oben: Nach einer Studie der eidgenössischen Steuerverwaltung vom 2004 haben die reichsten 20% der Bevölkerung zwischen 1991 und 2001 4300 Franken pro Jahr an Steuern gespart und die ärmsten 20 % 650 Franken mehr bezahlt. Die Tendenz ging seither unvermindert so weiter, sodass heute in der Schweiz insgesamt eine Flat Tax herrscht! 8 Trotzdem wird noch immer, bzw. von gut verdienenden Personen über die „hohe Steuerbelastung“ geklagt.  Dies obwohl nach den Einkommenssteigerungen und Steuersenkungen für diese Schichten nach Steuern viel mehr übrig bleibt als früher.

Sparopfer

Bei Abstimmungen um Steuersenkungen wird nie offengelegt, welche Opfer danach gebracht werden sollen. Meist wird auch nicht gleich sofort gespart, sondern erst wenn sich beim nächsten konjunkturellen Abschwung auch grössere Defizite ergeben. Doch die werden dann nicht mehr mit dem Steuerabbau in Verbindung gebracht.

Die Folgen des Abbaus sind aber gravierend:

  • Spitäler werden geschlossen 9 und Personal ausgedünnt (GE), der Stress nimmt zu. In der Folge wird die Betreuung der Patienten schlechter und auch die „Kunstfehler“. Wer kann weicht auf Zusatzversicherungen und Privatspitäler aus. Eine Zweiklassenmedizin ist die Folge.
  • Massiver Abbau bei der Schulbildung 10, was die berufliche Zukunft unserer Kinder und die wirtschaftliche Entwicklung in Frage stellt. Die grösseren Klassen überfordern die Lehrer, schwächere Schüler verlieren damit den Anschluss in der Schule und damit nachher auch in der Berufswelt. Dies erhöht nachweislich die Kriminalität. Wir bezahlen also langfristig so oder so… 11
  • Stütz- und Berufswahlklassen werden abgebaut (GE), wie auch die Berufsberatungsangebote (LU).
  • Wohnbauhilfe für Genossenschaften wird abgebaut, was die Wohnungsknappheit steigert und damit wiederum die Mieten steigert.
  • Abbau bei der Durchsetzung des Arbeitsgesetzes und der flankierenden Massnahmen zu den Bilateralen Verträgen (BL): Die Löhne sinken.
  • Der öffentliche Verkehr wird verteuert (SBB und Kantone) und somit ein Umsteigeeffekt aufs Auto provoziert. Dies torpediert die Bemühungen zum Bremsen der Klimaerwärmung.
  • Die Beiträge an eine naturnahe Landwirtschaft werden abgebaut und damit die industrielle Grosslandwirtschaft gefördert.
  • Entwicklungshilfebeiträge 12 und Friedensförderung werden gekürzt, und damit die Migration gefördert.
  • Steigende Krankenkassen-Kopfprämien sorgen dafür, dass der Bund höhere Beihilfen zahlen muss. Eigentlich wären heute auch mehr Menschen auf Prämienverbilligung angewiesen, aber viele Kantone haben in Sparprogrammen im 2014 im Gegenteil gar 124’000 Menschen keine Verbilligung mehr bezahlt… 13

Können wir nicht oder wollen wir nicht?

Wir meinen, wir hätten kein Geld mehr zur Förderung der uns eigentlich wichtigen anliegen. Doch die Schweiz ist eines der reichsten Länder der Welt. Was würde nun ein Afrikaner sagen, wenn wir ihm erklären, wir hätten kein Geld mehr für Spitäler und Schulen? Eine verkehrte Welt. Angesichts der Steuersenkungen ist es also klar nicht ein „nicht können“, sondern ein „nicht wollen“!

Steuererhöhungen bzw. eigentlich eine teilweise Rücknahme der Steuersenkungen müssen wieder zum Thema werden. Sonst droht weiterhin ständiger Abbau der gemeinschaftlichen Leistungen. Wollen wir das?

Vorurteile und Ängste führen zur Ideologie des Sparens

Leider herrscht das Vorurteil, Staatsangestellte verdienten sowieso zu viel und leisten zu wenig, da könne man noch viel sparen. Doch eigentlich sollten wir doch dafür sorgen, dass Familien mit einem Lohn leben können, und dass der Stress nicht zu noch mehr Burnouts führt 14. Demokratisch können und sollten wir festlegen, welche Arbeitsbedingungen wir als gerecht und gesund ansehen und diese so festsetzen, damit sie zum Standard für die ganze Arbeitswelt werden. Eine Verschlechterung dieser Arbeitsbedingungen führt langfristig auch zu einer Verschlechterung der Bedingungen in der Privatwirtschaft, da diese in der Konkurrenz um Arbeitnehmer nicht mehr genauso gute Bedingungen anbieten muss.

Der Spardruck bei Sozialversicherungen beruht zum Teil auch auf Vorurteilen gegen IV- und Sozialhilfebezüger. Es wird ihnen nachgesagt, dass sie bei genügenden Renten gar kein Anreiz zum Arbeiten hätten. Wenn man sieht, wie viele Betroffene darunter leiden und wie klein die Chance auf eine Stelle ist (bei 11’000 freien Stellen auf 500’000 betroffenen Menschen), so sind solche Vorurteile unangebracht.

Manchmal werden Staatsausgaben, deren Sinn dem Einzelnen nicht bekannt ist, einfach „Verschwendung“ genannt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Suchtprävention, dessen Nutzen klar nachgewiesen ist 15, was aber nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist. Der Glaube an Verschwendung führt zur absurden Situation, dass Zeitungen gar davon sprechen, dass man dem Staat noch mehr Mittel wegnehmen sollte, damit er endlich spart. Denn jeder Steuerzahler hat aber Bereiche identifiziert, die seiner Ansicht nach nicht nötig wären. Also ist da „noch Luft“ zum Sparen. Jeder kämpft also gegen die Bedürfnisse der Nächsten. Schlussendlich muss überall gespart werden, auch und mehr und mehr in essentiellen Bereichen. Denn „Fett“ gibt es keines mehr.

Solche Rechtfertigungen werden gerne geglaubt, damit wir nicht mehr Steuern zahlen müssen. Steuern zahlen ist derart unpopulär, dass der Nationalrat im Rahmen des Sparpaketes gar beschlossen hat, auf eine Aufstockung der Steuerinspektoren gegen die Steuerhinterziehung und damit auf mehr Steuereinnahmen zu verzichten. Es ist also nicht Schicksal, dass die Kassen leer sind, sondern es ist auch gewollt.

Die Ideologie des Sparens und die Vorurteile sind derart tief in uns drin, dass selbst Leute, die wenig verdienen und keine Steuern zahlen sich dafür einsetzen, dass radikal gespart wird. Oft merken sie dann gar nicht, dass ihre eigenen Wohn- und Krankenkassenbeihilfen gekürzt werden… Vielleicht haben wir auch Angst vor „dem Staat“, der in unsere immer grösseren Handlungsmöglichkeiten eingreifen könnte und den wir deshalb klein halten wollen.

Umkehr – Biblisches Teilen ist gefragt

Eine Steuerwende ist nötig, wenn wir eine gerechte Gesellschaft und Lebensqualität erhalten wollen. Denn die Budgetprobleme sind nicht eine Fatalität, sondern mit unserem Unwillen zum Teilen bewusst in Kauf genommen. Es wäre für alle besser, Rechtfertigungsideologien wie die  „Verschwendung des Staates“ zu entlarven und wieder mehr zu teilen. Denn die Schweiz wird reicher und reicher. Die Mittel, um Lebensqualität und Zukunft für alle zu schaffen, wären da. Geben wir sie uns! Warum sollten wir Bereiche, die uns wichtig sind, nicht mehr fördern können? Fragen wir uns deshalb zuallererst, welche Gesellschaft wir wollen.

Im Grunde ist die Steuerkrise auch eine Gemeinschaftskrise:

  • Unsere vermeintlich immer grösseren Handlungsmöglichkeiten (weltweite Vernetzung, Wissen durch Internet, bessere Bildung, etc.) verleiten uns dazu, zu glauben, dass wir die Nächsten nicht mehr brauchen. Deshalb stellen wir schlussendlich auch die gemeinsamen Institutionen in Frage.
  • Wir wollen mehr für uns behalten als für die Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen
  • Wir kennen vielleicht kaum mehr persönlich bedürftige Leute und haben deshalb auch weniger Verständnis für ihre Bedürfnisse.

Eine Teilrücknahme der Steuersenkungen ist deshalb nötig und für alle zu verkraften. Früher ging’s ja auch! Eine Angst ist freilich, dass bei einer Steuererhöhung die Reichen wegziehen bzw. dann weniger Reiche zu uns kommen würden. Aber: wollen wir wirklich noch mehr Reiche auf Kosten anderer Kantone oder Länder anziehen? Zweitens bräuchte es hier eine Neuauflage der Steuergerechtigkeitsinitiative, die dafür sorgen würde, dass in allen Kantonen der höchste Steuersatz nicht unter einen bestimmten Prozentsatz sinken darf, um ein „race to the bottom“ zu verhindern. Leider wurde diese Initiative vor einigen Jahren vom Volk abgelehnt, obwohl es in Umfragen vorher klar dafür war. In der Abstimmungskampagne wurde dem Volk aber Angst eingejagt, dass alle mehr Steuern zahlen müssten, wenn die Initiative angenommen würde. Um eine Neuauflage kommen wir heute nicht mehr herum.


1. Siehe watson

2. Siehe BSV und SECO

3. Siehe Statistik Basel

4. Siehe Wikipedia Staatsquote

5. Siehe Cartel syndical Genève

6. Siehe Baselland.ch

7. Siehe 20 Minuten

8. Siehe „Verteilung des Wohlstands in der Schweiz„, Studie Ecoplan vom 29.2.2004 im Auftrag der eidgenössichen Steuerverwaltung

9. Siehe swissinfo -> Was heisst: womöglich gefährlich längerer Weg ins nächste Spital und Isolation der Patienten, die weniger Besuch erhalten (Jesus in Matthäus 25.36: Ich war krank, und ihr habt mich besucht).

10. Siehe 20 Minuten

11. Siehe Risiken burgerlicher Politik

12. Siehe watson

13. Siehe Thurgauerzeitung und NZZ

14. Gerade Sozialarbeiter, Krankenpfleger, Lehrer und Polizisten und haben heute die höchsten Burnout-Quoten

15. Siehe BAG